Totholz

Alles andere als leblos

Ein wesentlicher Bestandteil von lebendigen Flusslandschaften in Mitteleuropa sind intakte, standorttypische Pflanzengesellschaften, die entlang der Gewässer wachsen, wie beispielsweise Auwälder, Bruchwälder, Sumpf- oder Schluchtwälder. Überall wo solche Wälder existieren, finden sich auch abgestorbene Bäume, Äste, Wurzeln, etc., die als sogenanntes Totholz einen wertvollen Lebensraum für sehr viele Lebewesen bieten und in den Flüssen und Bächen eine Vielfalt an Gewässerstrukturen ermöglichen. Durch das Totholz entstehen nämlich sehr unterschiedliche Wassertiefen- und Abflussbereiche, mit Auflandungen, flachen Kiesbänken, tiefen Kolken, langsamen und schnellfließenden Bereichen, kleinen Buchten und Uferanbrüchen. Die eigendynamische Veränderung der Fließgewässer wird dabei wesentlich erhöht, so dass bei höheren Abflüssen immer wieder neue Strukturen geschaffen werden, indem Sohle und Ufer in einigen Bereichen erodiert, Sedimente und Schwemmholz umgelagert werden und die Gewässer sich neue Fließwege schaffen. Solche Prozesse sind aus ökologischer Sicht sehr wertvoll, da auf diese Weise viele unterschiedliche Lebensbereiche entstehen, die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten entgegenkommen. In den flachen, strömungsberuhigten Bereichen können Fische ablaichen, während zwischen dem dichten Geäst von umgestürzten Bäumen die Jungfische Schutz vor Fressfeinden suchen und ihre Kinderstube haben. Über dem Wasser nutzen viele Wasservögel die Äste lebender und toter Bäume als Ruheplatz und als Sitzwarte für die Jagd, sie suchen im stehenden Totholz nach Insektenlarven und legen Höhlen zum Nisten an.

Im Auwald sind mehr als 500 Pilzarten und über 1000 Käferarten an der Zersetzung von Totholz beteiligt, darunter auch viele, die auf Totholz angewiesen sind und vom Aussterben bedroht sind. Denn leider ist Totholz in den von uns Menschen stark veränderten Natur- und Kulturlandschaften kaum noch vorhanden. Der Anteil echter Naturwälder in Deutschland beträgt nur noch 3%, der Rest, also 97% der Wälder, wird mehr oder weniger intensiv bewirtschaftet. Totholz ist dabei in der Regel nicht erwünscht und wird aus verschiedenen, meist wirtschaftlichen Gründen beseitigt. Auch die Fläche der verbliebenen Auwälder an den Gewässern ist erschreckend niedrig. Nur noch 1% der rezenten Auen werden hierzulande als sehr gering verändert und besonders naturnah eingestuft und 98% der rezenten Auen sind menschlichen Nutzungen unterworfen, in denen Totholz in der Regel ebenfalls kaum vorkommt und nicht erwünscht ist. Dort wo Totholz an den Gewässern noch in etwas größeren Mengen anfällt, insbesondere in den bewaldeten Oberläufen montaner und alpiner Flusslandschaften, wird es als eine Gefährdung für Siedlungsräume und Bauwerke (Brücken, Durchlässe, Wehre, Kraftwerke, Rückhaltebecken, etc.) angesehen und mit Hilfe von speziellen Bauwerken aus den Gewässern gefiltert, entfernt und anschließend entsorgt.

Totholz sollte jedoch eben nicht als ein lebloses und unerwünschtes Gefahrgut und Abfallprodukt angesehen und behandelt werden. Wir brauchen eigentlich viel mehr davon in der Natur, ganz besonders auch in den Flüssen, Seen, Mooren, Sümpfen und (Au-)wäldern, denn Totholz bedeutet lebendige Artenvielfalt.

1. Juli 2023
Auf Tour mit den echten Rolling Stones
30. Juni 2023
Ein Zeichen hoher Biodiversität

Aue

29. Juni 2023
Dynamik schafft Artenvielfalt