Dynamik schafft Artenvielfalt
Als Aue wird eine Landschaft bezeichnet, die entlang von Fließgewässern die Überschwemmungsbereiche umfasst und im natürlichen Zustand charakteristische Vegetationsgesellschaften, die sich an die Überflutungen angepasst haben, beheimatet. Die seitliche Ausdehnung der Auen hängt von der Topografie ab, sofern menschliche Bauwerke, wie z. B. Deiche, Mauern, Straßendämme, diese nicht zusätzlich künstlich begrenzen. Während in den steileren Oberläufen sowie in Gebirgslandschaften die Auen eher schmal ausgebildet sind oder sogar komplett fehlen, sind diese in den flacheren Niederungen der Mittel- und Unterläufe in der Regel wesentlich breiter und können auch mehrere Kilometer weit reichen. Die typischen Vegetationsgesellschaften in Auen entwickeln sich in Abhängigkeit von den Überflutungshäufigkeiten des Fließgewässers und werden üblicherweise in mehrere Zonen unterteilt. Diese beginnen bei der aquatischen Zone des Fließgewässers, an diese schließt der amphibischer Bereich an (auch Wasserwechselzone genannt) mit Seggen und Röhrichten (z. B. Schilf oder Rohrkolben), gefolgt von der sogenannten Weichholzaue mit Weiden und Erlen als dominierende Gehölze. Mit weiter ansteigender Topografie folgt dann die Hartholzaue, die in unserer gemäßigten Klimazone typischerweise Laubbaumarten wie Esche, Erlen, Stileiche, Ulme, Pappeln und Berg-Ahorn sowie eine reichhaltige niedrigere Kraut- und Strauchschicht beheimatet. Diese Zone wird nur noch selten bei Hochwasser überschwemmt und wird daher auch als terrestrischer Bereich bezeichnet.
Ein wesentliches Kennzeichen von natürlichen Auenlandschaften ist die enge biologische Vernetzung dieser unterschiedlichen feuchten und trockenen Standorte, was insbesondere auch durch die Dynamik aus wechselnden Abflüssen und flussmorphologischen Prozessen maßgeblich gefördert wird. Die natürlicherweise schwankenden Wasserstände zwischen Niedrig- und Hochwasser in Verbindung mit dem Feststofftransport des Gewässers, also dem Wechselspiel von Erosion, Transport und Ablagerung von Kies, Sand, Schluff und Steinen, sorgen für die Entstehung von vielfältigen Formen und Strukturen, wie Flussschlingen, Mäandern, Kiesbänken, flachen und steilen Uferbereichen, Nebenrinnen, Furkationen und Altgewässern. Neben diesen zwei abiotischen Faktoren, Wasser und Feststoffe, tragen aber auch die Lebewesen in den Auen selbst zu diesen dynamischen Veränderungen und der stetigen Umgestaltung dieser vielfältigen Lebensräume bei. Ein umgestürzter Baum am Flussufer zum Beispiel bildet ein Abflusshindernis und bewirkt so die Ausbildung von Geschiebe- und Schwemmholzablagerungen, aber auch von Kolken, lenkt ggf. die Strömung um und verstärkt damit die Ufererosion sowie die Ausbildung von Prall- und Gleithängen, Mäandern oder Nebenrinnen. Auch einzelne Tiere, allen voran der Biber, können auf ähnliche Weise die morphologischen Prozesse verstärken und beeinflussen.
Diese verschiedenen (semi-)aquatischen und terrestrischen Lebensbereiche und deren dynamischen Veränderungen ermöglichen das Vorkommen einer sehr großen Anzahl an Tier- und Pflanzenarten auf relativ engem Raum. Daher werden Flüsse mit ausgeprägten, naturbelassenen Auen häufig auch als Hotspots der Artenvielfalt bezeichnet und sind daher aus ökologischer Sicht besonders schützenswert.
Doch nicht nur diese Artenvielfalt macht Auen so wertvoll. Sie erfüllen darüber hinaus auch andere wichtige Funktionen, die für uns Menschen von Bedeutung sind. So tragen sie zum Beispiel zur Verbesserung der Wasserqualität bei, da sie bestimmte Nähr- und Schadstoffe filtern und abbauen können (insbesondere Nitratüberschüsse aus der Landwirtschaft) und sie sorgen für eine Dämpfung von Hochwasserabflüssen, da sie die Strömung verlangsamen und in der Fläche erhebliche Wassermengen zurückhalten können, was zum Schutz unterhalb liegender Siedlungen beiträgt.
Trotz dieser vielfältigen positiven Funktionen hat der Mensch die Auenlandschaft massiv zerstört und in Siedlungsflächen und Kulturlandschaften umgewandelt. Natürliche, von Menschen unbeeinflusste Auen finden sich in den meisten Ländern Europas so gut wie überhaupt nicht mehr. In Deutschland wird nur noch 1% der rezenten Auen als gering verändert und naturnah eingestuft und nahezu auf allen Auenflächen finden hierzulande menschliche Nutzungen statt. Die natürliche Abfluss- und Feststoffdynamik wird durch Stauanlagen behindert und flussmorphologische Veränderungen durch Deiche und Mauern unterbunden. An die Flüsse angebundene Feuchtgebiete und Altgewässer wurden trockengelegt, Auwälder abgeholzt und Überschwemmungsgebiete beseitigt. Der Schaden, den wir damit angerichtet haben, ist jedoch nicht nur aus ökologischer Sicht als katastrophal zu bezeichnen. Auch für uns Menschen nehmen die direkten und indirekten Folgen dieser großflächigen Naturzerstörungen zunehmend kritische Dimensionen an. Durch den Verlust an natürlichen Hochwasserretentionsräumen haben sich die Hochwasserabflüsse und das Gefährdungspotential der Flüsse massiv verschärft. Allein in Deutschland leben Millionen von Menschen inmitten dieser ehemaligen Überschwemmungsgebiete und bei der Überschreitung der Schutzwirkungen künstlicher Hochwasserschutzanlagen entstehen enorme Sach- und Personenschäden, wobei die Risiken in der Zukunft trotz massiver Gewässerverbauungen durch den Klimawandel noch weiter zunehmen dürften. Auch das menschengemachte Massenartensterben lässt sich zu einem großen Teil auf den Verlust dieser Naturlandschaften zurückführen und wird in seinen Konsequenzen für das biologische Gleichgewicht auf unserem Planeten und auch für uns Menschen immer noch vielfach unterschätzt oder ignoriert. Wir sind aber abhängig von einer intakten Natur und müssen daher viel mehr unternehmen, um dieses Gleichgewicht wieder herzustellen und die Zerstörung dieser wertvollen Auenlandschaften wieder rückgängig zu machen.